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11. August 2012

Gute Texte Schreiben – 12 goldene Regeln für verhunzte Texte

Ganz gleich ob wissenschaftlich, redaktionell oder populär: Ein Text soll seine Leser erreichen. Doch die Kapazität des Gehirns ist begrenzt. Es ist also nicht damit getan, einfach drauf los zu schreiben. Um einen Text richtig zu verhunzen, sind eine Reihe empirisch fundierter Regeln zu beachten. Die 12 wichtigsten dieser Regeln sind im Folgenden dargestellt.

Regel 1 – Schachtelsätze

Halten Sie sich bei der Satzgestaltung an Schachtelsätze. Selbst Schopenhauer (1851) zeigt uns, mit eingeschobenem Nebensatz, was er von seiner schönen Regel hält:

Wenn es eine Impertinenz ist, andere zu unterbrechen, so ist es nicht minder eine solche, sich selbst zu unterbrechen.“

Nutzen Sie die nach der Rechtschreibreform verbliebenen Kommata, und sorgen Sie durch entsprechend lange Sätze dafür, dass nur der nachhaltig interessierte und konzentrierte Leser in der Lage ist, Ihren Ausführungen zu folgen. Sie schreiben ja nicht für jedermann! Halten Sie es ebenso mit der Verständlichkeit: Ein Leser soll sich Ihren Text ja erarbeiten.

Regel 2 – Negation

Ersetzen Sie vermeintlich positive Sätze wie: „Die Räumungsübung entfällt.“, durch ein klares: „Die Räumungsübung findet nicht statt!“ Der Leser soll mit jedem Satze daran erinnert werden, dass Deutschland ein Land der Verbotsschilder und Verneinungen ist.

Regel 3 – Veradjektivierung

L´adjectif est l´ennemi du substantif.“, sagte Voltaire (zugeschrieben, vgl. u. a. Almanach Littéraire, Ou Étrennes d’Apollon, 1783 S. ➚142). Aber der hat ja keine Ahnung wie viel Freude Veradjektivierung bereiten kann. Nur Nudeldrücker können bei dem Buchtitel „Betriebswirtschaftliche Betrachtungen“ bissig mit: „Wessen Betrachtungen?“, nachhaken. Klar heißt es „Betrachtungen zur Betriebswirtschaft“ aber zeigt sich nicht nur derjenige als wahrlich sprachverbeamtet, der künftig auch vom brieflichen Träger, von dem polizeilichen Inspektor und von dem notenden Arzt spricht?

Regel 4 – Substantivierung

Ganz ähnlich können wir umgekehrt schlichte Verben durch Substantivierung aufwerten. Läppische Sätze wie: „Ich verzichte heute auf Alkohol.“, werden dann zu: „Was Alkohol betrifft, werde ich heute Verzicht leisten.“ Immerhin: Drei Wörter mehr und dreimal so kompliziert! Dank des wiehernden Amtsschimmels verfügen wir ja bereits über schöne Wendungen wie Bekenntnisse ablegen aus bekennen, Abhilfe schaffen aus abhelfen, in Erwägung ziehen aus erwägen, in Vorschlag bringen aus vorschlagen u.v.a.m. Warum einfach, wenn…

Regel 5 – Aktiv

Das Passiv ist feige oder frech! Es ist nur selten berechtigt. Der Kaugummi hat keine Chance: Er wird gekaut. Auch wenn die handelnde Person völlig uninteressant ist, darf ein unpersönliches Passiv getrost Verwendung finden: „Das Museum wird um 18 Uhr geschlossen.“ Doch wahres Sprachvergnügen bereitet erst das Aktiv: „Das Parkhaus schließt um 18:00 Uhr!“, ist ein schöner aktiver Satz. Nur Hornbrillenträger fragen nach: „Was macht das Parkhaus?“ Der wirklich Aktive würde selbst ein langweiliges: „Das Gebäude wird abgerissen„, in ein handelndes: „Das Gebäude reißt ab„, verwandeln.

Regel 6 – Fremdwörter

Nutzen Sie artig alle Fremdwörter, die Ihnen einfallen: Dies wertet Ihr kompetentes Außenbild signifikant auf! Lesen Sie im Stau das Duden Fremdwörterbuch und steigern Sie täglich Ihren Fremdwortschatz, zum Beispiel mit dem Wort priapisch – versuchen Sie es heute zu verwenden.

Regel 7 – Superlative

Übertreiben Sie, denn das macht Ihren Text aufregender. Wenn die Priorität (lat. prior = der Vordere) unmissverständlich an erster Stelle steht, so gilt dies für die „oberste Priorität“ noch unmissverständlicherer. Dass es dabei vor dem Vorrang nichts gibt, ist Nebensache: Es geht ja um den Effekt, nicht um den Sinn Ihrer Aussagen. Wenn Sie nur stets brav superlativieren, wird Ihr Text sicherer noch bessererer, runder als rund, fertiger als fertig und am noch schnellsteren ein Supererfolg.

Regel 8 – Verzicht auf semantische Deduktion

Als wahrer Textstruktur-Profi arbeiten Sie TEIGELERs Forderung nach semantischer Deduktion in arabischer Weise ab, also von rechts nach links. Dann gilt:

  • Das Spezielle vor dem Allgemeinen (statt: „Das Allgemeine vor dem Speziellen.“)
  • Das Komplizierte vor dem Einfachen (statt: „Das Einfache vor dem Komplizierten.“)
  • Das Unbekannte vor dem Bekannten (statt: „Das Bekannte vor dem Unbekannten.“)

So kennen wir es doch von unzähligen Lehrern, Dozenten und Professoren; die können nicht irren.

Ach ja die Zusatzregel: „Das Interessante vor dem weniger Interessanten.“, dürfen Sie auch umkehren oder getrost vergessen – Ihr Text ist ja kein Werbeslogan.

Regel 9 – Literaturverweise

Verweisen Sie bei allen wichtigen Details auf weiterführende Literatur, statt Ihren Text mit zu vielen Informationen zu belasten. Beachten Sie dabei folgende akademische Regel: Je wichtiger die Information, desto schwerer zugänglich soll die Quelle sein.

Regel 10 – Urheber u. ä. Kennzeichen

Verzichten Sie auf unnötige Kennungen, wie Urheber, Version, Datum und Bezugsquelle. Die Leser sollen auf den ersten Blick erkennen, dass Sie Wichtigeres zu tun haben, als sich weiter mit diesem Text herumzuschlagen: Ein Visionär schaut schließlich in die Zukunft und verliert sich nicht in der Vergangenheit.

 
Schreiben Sie Texte für den unternehmensinternen Gebrauch haben sich folgende Zusatzregeln als wirksam erwiesen:

Regel 11 – Kompetenzkompetenz

Behandeln Sie jene Themen besonders umfassend und im Detail, von denen Sie am wenigsten verstehen. Vergewissern Sie sich zuvor, dass jeder Ihrer Leser noch weniger davon versteht, ausgenommen jener Kollegen, deren Beurteilung Sie zu verfassen haben. Dies fördert ihr Ansehen und verschafft persönliche Befriedigung nach dem Motto: „Besser mobben, als gemobbt werden!“

Regel 12 – Autorenkollektiv

Soweit Ihre Organisation dies zulässt, verfassen Sie den Text als „Autorenkollektiv“ oder als „Bericht der Gruppe“. Benennen Sie stets einen anderen Ansprechpartner, als den Autor. Dies belebt die Kommunikation in Ihrem Unternehmen.

Für die abschließende Bewertung eines Textes forderte Jean Paul (1804): „Die Probe der Güte ist, dass der Leser nicht zurückzulesen hat.“ Ich aber sage Ihnen: „Die Probe der Güte ist, dass der Leser nicht zurücklesen will!

In diesem Sinne folgt der Verweis auf die wahren Edelfedern und ihre überlieferten Weisheiten, die entgegen aller oben angeführten Regeln zur Nachahmung anempfohlen sind:

  • Cappon, R. J. (2005): Journalistisches Schreiben. Berlin: Autorenhaus (➚Amazon Buchlink)
  • Clark, R. P./Winter, K. (2008): Die 50 Werkzeuge für gutes Schreiben. Berlin: Autorenhaus (➚Amazon Buchlink)
  • Esselborn-Krumbiegel, H. (2008): Von der Idee zum Text. Eine Anleitung zum wissenschaftlichen Schreiben. 3te Auflage. Stuttgart: UTB  (➚Amazon Buchlink)
  • Schneider, W. (1999): Deutsch für Profis; Wege zu gutem Stil. 2te Auflage. München: Goldmann (➚Amazon Buchlink)
  • Schneider, W. (2010): Deutsch für junge Profis. Wie man gut und lebendig schreibt. 3te Auflage. Berlin: Rowohlt (➚Amazon Buchlink)

Quellen der Zitate:
Paul, Jean (1804): Vorschule der Ästhetik. Kapitel 85
Schopenhauer, Arthur (1851): Über Schriftstellerei und Stil. In: Parerga und Paralipomena