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03. Oktober 2012

Kein Enterprise 2.0 – Warum Social Media in Unternehmen nicht funktioniert

Im Social Web helfen Menschen anderen Menschen. Sie entwickeln Innovationen, schaffen Software, Musik und Literatur. Das alles machen sie freiwillig und unentgeltlich. Da liegt es nahe, dass Unternehmen überlegen, wie sie diese Schaffenskraft für die eigene Wertschöpfung nutzen können. Durch die Übertragung der Mechanismen und Phänomene aus dem Social Web auf Unternehmen entstand das Ideal vom Enterprise 2.0 – leider nur in der Theorie, denn das Konstrukt Enterprise 2.0 basiert auf falschen Annahmen. Eine Aufklärung.

Social Web: Mehrere Milliarden Euro geldwerter Vorteil

Mit der Verbreitung des Internets um 1990 entstanden die ersten Phänomene des Social Webs: das freie Betriebssystem Linux (1991) sowie eine Vielzahl weiterer Computeranwendungen, etwa Office Suiten (z. B. OpenOffice, seit 2001), Programme zur Bearbeitung von Audiofiles (z. B. Audacity, seit 2000), Grafikprogramme (z. B. Gimp, seit 1996), Browser (z. B. Firefox, seit 2002) sowie weitere Programme für nahezu alle denkbaren Anwendungen.

Besonders große Aufmerksamkeit erregte die 2004 gegründete Wikipedia: Allein die deutsche Fassung der Online-Enzyklopädie umfasst mehr als 1,45 Millionen Artikel, die von mehr als 1,48 Millionen registrierten und mehr als 21.500 aktiven Nutzern erstellt, strukturiert und ergänzt werden – freiwillig und ohne Bezahlung (Wikipedia 2012). Im Vergleich sowohl der deutschen Wikipedia mit der Onlineausgabe des Brockhaus (Güntheroth/Schönert 2007) sowie der englischen Wikipedia mit der Encyclopedia Britannica (Giles 2005) hält oder schlägt jeweils die ehrenamtlich von Privatpersonen in Selbstorganisation erstellte Wikipedia die Qualität der kommerziellen Lexika, die durch Professoren und anderen ausgewiesene Experten erstellt werden.

Über Innovationsplattformen wie InnoCentive.com, Yet2.com, Atizo.com oder OpenInnovators.de wird Wertschöpfung aus der anonymen Masse realisiert – zu Kleinstpreisen.

Tab.1: Kostenpflichtige Software und Dienste sowie Beispiele kostenfreier Pendants

Eine Vielzahl von Hilfsplattformen (z. B. gutefrage.net) sowie privat organisierte Foren zu nahezu allen Themen des Lebens, bieten nicht nur dem Einzelnen Hilfe, sondern sparen vielen Unternehmen teure Callcenter und den Kundendienst.
Zahlreiche Blogs zu allen denkbaren Themen sowie unzählige veröffentlichte Fotos und Videos spiegeln eine unermessliche Menge kreativen Potenzials, schöpferischen Vermögens und Leistungswillens wieder.
Würde man Unternehmen dazu beauftragen, die im Social Web kumulierte Leistung nachzubilden, gingen die Kosten in die Milliarden.

Enterprise 2.0: Das unternehmensinterne Social Web

Betrachtet man aus der Perspektive eines Unternehmens die Schaffenskraft des Social Webs, liegt die Idee nahe, die im Mitmach-Web beobachtete Produktivität auch unternehmensintern zu heben. Social Software soll also innerhalb eines Unternehmens (auch zwischen Unternehmen und ihren Partnern/Kunden) eingesetzt werden, so dass analog zu dem Web 2.0 ein Enterprise 2.0 entsteht.

Der Begriff Enterprise 2.0 wird auf Andrew McAfee (2006) zurückgeführt, der an anderer Stelle verspricht (McAfee 2008:18): „Enterprise 2.0 ist für die Nutzer sehr leicht zu erlernen und zu handhaben, auch die Einführung ist nicht schwierig.“ Dieser Haltung folgend scheint die mit Enterprise 2.0 verbundene Vorstellung vielversprechend: Das Unternehmenswissen soll von allen Mitarbeitern generiert, organisiert und kontinuierlich verbessert werden. Die Mitarbeiter sollen untereinander besser zusammenarbeiten – ebenso wie ganze Abteilungen.

Transparenz, Beteiligung, Dialog und Selbstorganisation sollen die Leitmaxime der neuen Unternehmenskultur sein, in der die Führungskräfte nur noch als Moderatoren tätig sind (vgl. hierzu unter anderem die Aufsätze in dem Sammelband Buhse/Stamer 2008). Nüchtern betrachtet wirken die Argumentationen der Fürsprecher teilweise utopisch, denn die Realität in der Mehrheit deutscher Unternehmen sieht anders aus.

Häufig: Die Technik für Enterprise 2.0 fehlt

Nur 63 Prozent der Beschäftigen in Deutschland nutzen beruflich einen Computer (Statistisches Bundesamt 2011:20) und noch 2008 verfügten lediglich 21 Prozent der Unternehmen, die Computer einsetzen, über ein Intranet (Bauer/Tenz 2009:49). Dabei setzten 2008 nur knapp 80 Prozent der Unternehmen Computer ein, 2009 waren es 85 Prozent (Statistisches Bundesamt 2012).

Dort wo nicht einmal ein Intranet existiert oder gar nicht einmal Computer genutzt werden, ist eine Einführung von Social Media schon technisch alles andere als trivial und vielfach schlicht unsinnig: Briefträger, Taxifahrer, Krankenschwestern, Soldaten, Arbeiter, Handwerker etc. brauchen für ihre Arbeit in der Regel kein Intranet und erst recht kein Social Media.

Das sehen viele Angestellte auch privat so: 48,3 Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland nutzen privat keine Social Media – 15,2 Prozent von ihnen nicht einmal das Internet (Verbraucheranalyse 2012 I).

Abb.1: Aktivitätsverteilung der Nutzer von Web 2.0 Plattformen

Folglich schrumpft die große Utopie vom Enterprise 2.0 also auf die kleine Fragestellung, die sie einmal war: Kann auf Kollaboration ausgerichtete Technik Wissensarbeitern in Unternehmern die Arbeit erleichtern und hier Innovationen antreiben?

Hierbei wird die Vorstellung vom Wissensarbeiter nach Drucker (1959) als „jemand, der mehr über seine Tätigkeit weiß als jeder andere in der Organisation“, nicht ausreichen. Stattdessen wird man dem Begriff auf all jene Mitarbeitergruppen ausdehnen müssen, die mit nennenswertem wirtschaftlichen Vorteil für das Unternehmen von unternehmensinternen Social Media profitieren würden – sei es durch den Austausch von nötigem (Spezial)Wissen zur Lösung eines (wirtschaftlich) bedeutsamen Problems oder durch den Austausch von Ideen.

Betrachtet man ein klassisches Unternehmensorganigramm dürfte es jenseits der Forschungs- und Entwicklungsabteilung sowie ggf. der Rechtsabteilung schwer werden, entsprechende Bereiche ausfindig zu machen.
Doch selbst dort, wo die Technik vorhanden ist und (meist unter anderen) auch die betreffenden Wissensarbeiter „Zugang“ zu dieser haben, stellt sich die im Social Web beobachtbare Dynamik im Intranet 2.0 in der Regel nicht ein.

Auch im Social (Intra)Web: Nur wenige sind wirklich aktiv

Die geringe Aktivität in Social Intranets lässt sich einerseits durch soziologische Befunde und andererseits aus der Natur von Unternehmen erklären, die sich eben grundlegend von der Natur des Social Webs unterscheidet.

Aus der soziologischen Betrachtung von Social Media ist bekannt: Das Ausmaß mit dem sich die Mitglieder einer sozialen Gruppe engagieren folgt einer exponentiell fallenden Kurve (vgl. Ullrich 2010; siehe Abb.2).

Abb.2: Aktivitätsverteilung der Nutzer von Web 2.0 Plattformen

 

Stark vereinfacht lässt sich dies auch mit der 1:9:90-Regel  plakatieren: Von 100 Menschen initiiert einer etwas, neun machen mit und die übrigen 90 schauen zu (vgl. Nielsen 2006). Diese Zusammenhänge sind im Web 2.0 unabhängig von der Social Media Plattform sichtbar. Da jedoch die Größe der sozialen Gruppen auf den populären Podien des Mitmach-Webs in die Millionen geht, sind entsprechend auch mehrere tausend Initiatoren dabei.

Es ist also eine kritische Masse notwendig, damit die Phänomene des Social Webs auftreten – im Web 2.0 wie im Enterprise 2.0. Das aber schließt viele kleinere und mittlere Unternehmen aus. Hingegen sollten sich Social Media besser in Großkonzernen, die zum Teil über mehr als hunderttausend Mitarbeiter verfügen, erfolgversprechend einsetzen lassen. Doch auch hier zeigen sich die bisher unternommenen Initiativen mit eher bescheidenem oder bei näherer Betrachtung wenig belastbarem Erfolg.

Erfolgsfaktoren des Social Webs: Widerspruch zur Natur der Unternehmung

Die weiteren Ursachen der geringen Aktivität im Mitmach-Intranet werden deutlich, wenn man die Erfolgsfaktoren des Social Webs mit den Bedingungen in Unternehmen vergleicht. Die Schaffenskraft des Social Webs machen vor allem folgende Faktoren aus:

  • Meinungsvielfalt: Es geht um Inhalte, nicht um Personen,
  • Unabhängigkeit: Nutzer sind wirtschaftlich und sozial nicht von anderen Nutzern abhängig,
  • Dezentralisierung von Entscheidungen: Jeder kann sich an der Bewertung/Entscheidungsfindung beteiligen, d. h. es herrscht zunächst ein sehr demokratischer Prozess.

Vergleicht man diesen Befund mit der Realität in vielen Unternehmen fällt auf, dass in Unternehmen

  • die Meinungsvielfalt dadurch behindert wird, dass meist die Wertschätzung einer Idee an den Status des Ideengebers gekoppelt ist,
  • die Mitarbeiter mindestens wirtschaftlich vom Unternehmen bzw. ihren Vorgesetzten abhängig sind,
  • Entscheidungen auf hierarchische Knotenpunkte zentralisiert sind.

Zudem werden Akzeptanz und Nutzung von Social Media in Unternehmen behindert durch: (a) bereichszentrierte Zielvorgaben (veraltete Bonusstrukturen); (b) starkes Hierarchiedenken und Rücksichtnahme auf Hoheitsgebiete und Befindlichkeiten (Silodenken) sowie (c) Ängste, nicht mehr gebraucht zu werden oder die eigene Position zu verschlechtern, wenn man als Experte sein Spezialwissen preisgibt oder auch vor Sanktionen, wenn Mitarbeiter „ihre Finger in die Wunden übergeordneter Hierarchieebenen“ legen.

Bedenkt man zudem, dass aktives Engagement und die Bereitschaft für den eigenen Arbeitgeber konstruktive Risiken einzugehen, vornehmlich nur von denjenigen Mitarbeitern zu erwarten ist, die eine hohe emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber haben, trüben die Ergebnisse des jährlich erhobenen Engagement Index  das Bild weiter: Nicht einmal ein Fünftel der Angestellten hat eine hohe emotionale Bindung an sein Unternehmen, knapp zwei Drittel haben eine geringe und mehr als ein Fünftel gar keine emotionale Bindung zu dem Unternehmen für das sie arbeiten – mit Tendenz zu immer geringerer Bindung (Gallup 2012).

Abb.3: Wo die Realität in Unternehmen den Erfolgsfaktoren des Social Webs entgegensteht

Insgesamt widersprechen die oben genannten Aspekte einer wertschöpfenden Nutzung von Social Software in Unternehmen nachdrücklich. Zudem lassen sich die kritischen Rahmenbedingungen durch die Einführung von Social Software auch nicht verändern: Social Media ist in diesem Sinne kein unternehmensinterner Change Agent.

So bleibt Enterprise 2.0 oft nur die nächste Sau, die durch das „Corporate Dorf“ getrieben wird – nach Innovationsmanagement, Lean Management, Lernenden Organisationen, Wissensmanagement etc.

Social Media: Eine Alternative zur Organisationsform „Unternehmen“

Coase (1937) stellte heraus, dass Unternehmen immer dann entstehen, wenn dadurch die Transaktionskosten niedriger sind, als wenn man die für die Herstellung eines Produktes nötigen Zwischenstufen und Arbeitsschritte einzeln am Markt einkaufen würde: Steht die Infrastruktur zur Leistungserbringung bereit, sind Mitarbeiter gewonnen, die Aufgaben verteilt sowie das Steuerungs- und vor allem das Entlohnungssystem geklärt, kann die gewinnoptimale Wertschöpfung beginnen (vgl. u. a. Ullrich 2009).

Auch Social Media stellen eine Infrastruktur zur Leistungserbringung zur Verfügung. Jeder, der die Idee der Plattform ansprechend findet, kann sich einbringen. Sehr einfache Regeln, die oft auf kollektive Intelligenz und einfache Mehrheitsdemokratie setzen, bilden das Steuerungssystem (vgl. u. a. Sourowiecki 2005; Sunstein 2009).

Am deutlichsten ist jedoch der Unterschied der Organisationsform Social Media zur Organisationsform Unternehmen im Bereich der Entlohnung: Statt finanzieller Abgeltung der auf der Plattform erbrachten Leistung, erfolgt die Entlohnung mittels neuer Währungen: der  Aufmerksamkeit Dritter sowie deren (vermuteter) Wertschätzung und Dankbarkeit. Wahrgenommen zu werden, ist der Lohn in der Aufmerksamkeitsökonomie (vgl.  Franck 1998; Davenport/Beck 2001).

Damit aber bilden Social Media eine Alternative zu der auf der Geldökonomie aufgebauten Organisationsform „Unternehmen“. Die mittels Social Media geschaffene Wertschöpfung stellt einen gesellschaftlichen Wert dar und entzieht sich – zumindest zu einem großen Teil – der Geldökonomie, d. h. der wirtschaftlichen Verwertung. Gerade hierin liegt die Existenzproblematik vieler Social Media „Geschäftsmodelle“: Sie müssen in der Geldwirtschaft finanziert werden, um ihren gesellschaftlichen Mehrwert leisten zu können. Überdauern Phänomene des Social Webs in der gegenwärtig vorherrschenden Geldökonomie, übersteigt entweder ihr gesellschaftlich geschaffener Mehrwert unweigerlich die finanzökonomische Nutznießung oder es handelt sich um „Liebhaberei“ im weitesten Sinne, wie etwa bei der durch Spendengelder finanzierten Wikipedia.

Utopie der Social Media: Nur ein Übergangszustand

So sehr das Phänomen Social Media auch nach Sozialromantik zu klingen scheint, so hart ist die sich auch auf den Plattformen des Mitmach-Webs bildende soziale Realität.

Zunächst führen Social Networks nicht nennenswert zu mehr bzw. neuer Vernetzung, sondern sind eine Dokumentation bestehender sozialer Netze aus der realen Welt. Man lernt also in der Regel erst Menschen offline kennen, bevor man sich online, z. B. auf Facebook, verbindet (vgl. u. a. Kneidinger 2010:83f) – einige spezifische Fachplattformen und v. a. „Kontaktbörsen“ ausgenommen. Insofern bieten auch unternehmensinterne Social Media, gesetzt den Fall, die Mitarbeiter nutzten diese überhaupt, zunächst vor allem einen Weg, die im Unternehmen bereits herausgebildete (informelle) Hierarchie transparenter zu machen und damit zu manifestieren.

Zudem zeigt sich, dass die partizipativen Strukturen, die den besonderen Mehrwert von Social Media Projekten, wie etwa Wikipedia, ausmachen, letztlich nur kreative Übergangszustände in der Herausbildung einer klassischen hierarchischen Ordnung sind. So haben zum Beispiel die aktiven Mitglieder der Wikipedia heute in völlig freier Selbstorganisation eine Struktur herausgebildet, wie sie aus allen sozialen Gruppen entsteht: Die von den Nutzern gewählten Administratoren werden von den Nichtadministratoren als Mitglieder eines Führungskreises angesehen und gleichzeitig sehen sich die Administratoren gegenüber den ‚Normalmitgliedern‘ als herausgehoben an (vgl. u. a. Stegbauer 2009:177ff).

Auch bei anderen Erscheinungsformen des Social Webs, etwa bei den Blogs, entsteht infolge der Mischung aus Vielfalt des Angebots und Wahlfreiheit des Einzelnen nach klassischen sozialen Mechanismen Ungleichheit (vgl. u. a. Shirky 2003): Entgegen den klassischen redaktionellen Massenmedien, die ihre Botschaften vorwiegend als Monolog ihren Teilöffentlichkeiten darbieten, sind Blogs vom Grund her für den Dialog mit den Bloglesern konzipiert. Ist ein Blog jedoch sehr erfolgreich, d. h. findet es viele Kommentatoren, wandelt es sich wieder zu einem Medium 1.0 mit mehrheitlicher „one-way-Kommunikation“, weil es der Autor schlicht nicht schafft, die vielen Kommentare zu beantworten (vgl. Bolz 2007: 130).

Auch in unternehmensinternen Social Media ist zu erwarten (und teilweise zu beobachten), dass  sich mit der Zeit neben der bestehenden Hierarchie konkurrierende neue Einflusssphären infolge interner Aufmerksamkeitsökonomie herausbilden – ungesteuert und mit je nach Unternehmenskultur mehrwertbildendem oder produktivitätssenkendem Effekt.

Social Intranet:  Juristisch ein Minenfeld

Mitarbeiter, die sich in einem Social Intranet engagieren und hier die gewünschten wertschöpfenden Ideen liefern genießen einerseits für ihre Beiträge im Intranet ggf. Urheberrechte, deren Nutzungsübertragung im Einzelfall zu erwägen oder zu vereinbaren ist. Zudem kann das kreative Intranet bestehende Vereinbarungen, etwa Prozesse und Vergütungen im Rahmen des internen Vorschlagswesens unterlaufen und so zu Konflikten mit dem Betriebsrat sowie zu weiteren Rechtsansprüchen führen.

Auch ist zu prüfen, welche Voraussetzungen für die Beschäftigten geschaffen werden müssen (etwa in Schulung, Aufklärung und Vereinbarung), um eine auch hinsichtlich der rechtlichen Folgen belastbare Nutzung unterstellen zu dürfen. Hier sind verschiede Fragestellungen denkbar:

  • Wie wird sichergestellt (und ggf. nachgewiesen), dass die Äußerungen eines Mitarbeiters im Intranet – insbesondere zu fach- und aufgabenfremden Themen – keinen negativen Einfluss auf Entscheidungen etwa über Gehaltserhöhungen oder Beförderungen haben?
  • Wie ist mit Beiträgen, Themensträngen oder ganzen Sub-Foren zu verfahren, wenn der verantwortliche Mitarbeiter nicht mehr im Unternehmen ist?
  • Welche Aspekte des Datenschutzes sind zu beachten?
  • Wie wird sichergestellt, dass durch die Nutzung der internen Social Media keine Leistungskontrolle stattfindet, die nicht durch eine Betriebsvereinbarung gedeckt ist?
  • Wer moderiert – mit welchen Befugnissen – etwaige abteilungsübergreifende Intranet-Dispute?
  • Wie werden Beiträge von ehemaligen Mitarbeitern kenntlich gemacht, damit Mitarbeiter nicht versuchen mit „Karteileichen“ virtuelle Dialoge zu beginnen oder fortzuführen?

etc.

Zudem stellen Social Media gelernte Schemata der internen Kommunikation infrage: Klassische Kommunikationskaskaden sind in einem Enterprise 2.0 nicht mehr sicher durchzuhalten und erfordern eher eine Stufung in der Tiefe der Information, statt zeitlich nach z. B. Hierarchieebene.

Um solche Fragen zu klären, sind die Rechtsabteilung und die Unternehmenskommunikation frühzeitig in die Ideenfindung einzubinden, um den zum Teil erheblichen potentiellen Schaden für das Unternehmen abzuwenden.

Fazit und Empfehlung für Unternehmen

Grundsätzlich gilt für Unternehmen hinsichtlich Enterprise 2.0: Machen Sie das, was für das Unternehmen langfristig sinnvoll ist. Beginnen sollte der Prozess mit einem Kultur-Check und der Frage, wo im Unternehmen für mehr Wertschöpfung konkrete Verbesserungen erforderlich sind. In diesen Bereichen ist dann zu prüfen, ob ein Social Medium hier ein sinnvolles und wirksames Instrument sein kann.

In jedem Fall sollte ein klassischer Business Plan erstellt werden, aus dem – nach bestem Wissen und Gewissen – hervorgeht, was Social Media hier leisten sollen und werden. Ergibt sich hier, dass Social Media nicht geeignet sind, sollte die betreffende Projektleitung den Mut haben, dies ihrem Vorstand offen mitzuteilen – auch wenn der Vorstand dann beim nächsten Besuch in Davos nicht erzählen kann, sein Unternehmen sei jetzt auch 2.0. Eine begründete Absage an Social Media wird sich in den „fundamentalen Daten“ nicht nachteilig zeigen, im Gegenteil.

Unternehmen, die sich zur Entscheidungsfindung Berater als Sparringspartner ins Haus holen, sollten auf Consultants setzen, deren Geschäftsmodell nicht auf dem Verkauf von Social Software beruht.

Auch sollten Anpreisungen von „Best-Practice“-Beispielen hinterfragt werden: „Wie viele Mitarbeiter des Unternehmens nutzen aktiv das Social Intranet?“, „Geht es dabei ums Business oder auch um andere Themen?“, „Wie viel Produktivität wurde damit gesteigert, d. h. wie viele neue Produkte entwickelt, wie viel mehr Umsatz generiert oder wie viele Arbeitsplätze infolge der Produktivitätssteigerung abgebaut?“ Ausweichende und unpräzise Antworten oder solche, die sich beim Nachfragen als nicht belastbar erweisen, sprechen in der Regel eher gegen Enterprise 2.0.

Finden Sie jedoch ein belastbares Erfolgsbeispiel für ein echtes Enterprise 2.0, freut sich der Autor dieses Beitrags über einen Hinweis – gern direkt per E-Mail (t u @ w e b o s o p h . d e).


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Literaturverweise

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   Alle Kommentare
  •       Suitbert Monz  |  04.10.2012, 9:50 Uhr

    Die Art und Weise der Kommunikation im „Social Web“ ist gerade für jüngere Mitarbeiter eines Unternehmens in deren Alltag gelebte und gefühlte Realität. Diese Kommunikationsform lässt sich nicht mehr „wegdiskutieren“. Es stellt sich daher für Unternehmen in der Zukunft m. E. nicht nicht die Frage, ob sie Social Media intern nutzen wollen oder nicht. Die Überlegung muss stattdessen sein, wie man die Potentiale solcher internen Kommunikation für das Unternehmen positiv nutzen und fördern kann!
    Hier noch ein interessanter Artikel von der Volksbank Bühl zu dem Thema: http://blog.volksbank-buehl.de/2012/10/04/enterprise-2-0-und-open-innovation-wie-unternehmen-das-web-2-0-fur-sich-nutzen/

    •       Thomas W. Ullrich  |  08.10.2012, 8:19 Uhr

      Hallo Herr Monz,
      vielen Dank für Ihre Ergänzung. Ich würde in Ihrem Punkt sogar einen Schritt weiter gehen: Mehr als nur junge Menschen, die zweifelsohne zu den Power-Usern des Social Webs gehören, stellen generell Mitarbeiter, die privat oder beruflich im Social Web aktiv sind, höhere Anforderungen an die Führungsstruktur des Unternehmens und an die Führungskräfte. Sie erwarten eher flache Hierarchien sowie einen kollaborativen und authentischen Führungsstil.

      Nun gehe ich aber davon aus, dass es nicht Aufgabe eines Unternehmens ist, allen Wünschen und Erwartungen seiner Mitarbeiter zu entsprechen, sondern nach ökonomischen Gesichtspunkten abzuwägen, auf welchem Weg sich mehr Gewinn erwirtschaften lässt. Die Frage ist also zunächst, welchen Mehrwert ein Social Intranet aus Sicht der Mitarbeiter für deren tägliche Arbeit hat. Und hier komme ich zu einer etwas anderen Bewertung: Nur für wenige Unternehmen steckt im Social Intranet ein wirtschaftlicher Mehrwert, auch wenn man vermeintliche motivationale Effekte mitrechnet. Allerdings gibt es hier Unterschiede je nach Unternehmensgröße und Branche.

      Sie haben jedoch völlig recht: Für diejenigen Unternehmen, für die es lohnen kann, stellt sich die Frage des ‚Wie‘. Die zum Heben des Potentials nötige kulturelle Veränderung geschieht nicht durch die (technische) Bereitstellung von unternehmensinternen Social Media. Vielmehr bedarf es eines kulturellen Wandels, damit Social Media ihren potentiellen Mehrwert unternehmensintern entfalten können. Und da gibt es m. E. systemische Grenzen im Konstrukt ‚Unternehmen‘. Letztlich ist es die Frage, wie sich Mitarbeiterengagement gewinnen lässt.
      Danke für den Link und herzliche Grüße
      Thomas W. Ullrich

  •       René Sternberg  |  02.12.2012, 16:50 Uhr

    Hallo Herr Ullrich,
    vielen Dank für das Sammeln einiger guter Daten und der Aufarbeitung. Sehr wahrscheinlich werde ich Ihre Argumentation in meiner Diss erwähnen.

    Was mir aufgefallen ist: ihre primäre Argumentation ist, dass die Web 2.0 Prinzipien mit der Unternehmenswelt nicht vereinbar ist. Ich denke, dies ist wirklich eine der entscheidenen Fragen. Ich stimme Ihnen auch zu, dass Social Media in klassischen Unternehmenskulturen nicht funktioniert. Dennoch würde ich es nicht so pessimistisch sehen. Kulturen sind Wandlungsfähig und junge Mitarbeiter tragen neue Handlungspraktiken in die Unternehmen, weshalb ich glaube, dass mittelfristig die Möglichkeiten von Enterprise 2.0 steigen werden. Der Wandel gelingt allerdings nur, wenn Unternehmen es schaffen, Enterprise 2.0-Anwendungen in die Prozesse der alltäglichen Arbeit zu integrieren. Die reine Implementation neuer Technik bringt halt erst etwas, wenn es sinnvoll genutzt wird. Die Frage nach dem Wie ist deshalb für mich am Wichtigsten und wird hoffentlich in der Zukunft in den Vordergrund rücken.

  •       Melanie Jendro  |  01.02.2013, 13:13 Uhr

    Hallo Herr Ullrich,
    vielen Dank für Ihren Beitrag und die Aufarbeitung. Ich bin in der Tat ein Befürworter des Enterprise Social Networks und sehe ähnliche Punkte wie sie, die ein Scheitern heraufbeschwören. Jedoch denke ich, dass ESN heutzutage ein muss ist. Deshalb denken ich, müssen sich Strukturen in Unternehmen ändern – nicht nur für die Einführung eines ESN, sondern vor allem für einen langfristigen Erfolg des Unternehmens.
    VG Melanie Jendro

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