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17. Februar 2010

Von Pressemitteilung bis Social Media Release (SMR) – Ursprung, Gegenwart und Zukunft eines Standardinstruments der Public Relations

Die Pressemitteilung (Presseinformation) wird seit mehr als 100 Jahren als ein Standardinstrument der Public Relations eingesetzt, um Redakteure der Massenmedien zu erreichen. Die Hoffnung: Die Redakteure greifen das Thema in ihrem Medium auf – je wortgetreuer, desto besser. Doch wie haben Internet und Web 2.0 die Rolle und die Form der Pressemitteilung verändert? Welche Bedeutung hat sie heute und morgen?
                    

Die Erfindung der Pressemitteilung

Am 28. Oktober 1906 ereignete sich gegen 14:25 Uhr ein Unglück: Zug Nummer 1.065 der Pennsylvania Railroad Company sprang auf einer Zugbrücke nahe Atlantic City (USA, Philadelphia) aus den Gleisen. Zwei Wagons tauchten vollständig, der dritte teilweise unter Wasser. 57 der 80 Insassen kamen ums Leben. (➚NYT, 29. Okt. 1906).


Zu dieser Zeit war Ivy Ledbetter Lee, damals 29 Jahre alt, als Public Relations Berater für die Pennsylvania Railroad Company tätig. Auf sein Drängen hin, gab das Unternehmen – entgegen dem bei einem Unfall bislang üblichen Schweigen – initiativ eine von Lee getextete Stellungnahme heraus. Damit wollte man möglichen Spekulationen über Ursachen des Unfalls zuvorkommen und Vertrauensbotschaften platzieren. Die Mitteilung wurde weit gestreut und u. a. von der New York Times wörtlich abgedruckt (➚NYT, 30. Okt. 1906). Dies wird als Geburtsstunde der Pressemitteilung kolportiert (u. a. ➚Jarboe, 2006; ➚Lester, 2010).

Zwar war es vor Lees Vorstoß in der Tat üblich, Journalisten lediglich Interviews zu gewähren und im Anschluss die offiziellen Antworten zu den wichtigsten Fragen schriftlich auszuhändigen (➚Schudson, 1995), doch verweist die Encyclopedia of Public Relations auf das King’s College (heute: Columbia Universität), das bereits 1748 eine Pressemitteilung herausgegeben haben soll (➚Heath, 2005:916).

Pressemitteilung als Standardinstrument der Public Relations (PR)

Heute ist die Pressemitteilung ein etabliertes Standardinstrument der Public Relations: Mehr als 1.000 Pressemitteilungen von Unternehmen und Institutionen erreichen täglich zum Beispiel das Hamburger Abendblatt per Post, Fax oder E-Mail (➚Hübner-Weinhold, 2009). Zum Vergleich: Die Nachrichtenagentur dpa liefert etwa 650 Meldungen täglich (➚dpa, 2009).

Pressemitteilungen werden für Redakteure geschrieben: Diese sollen überzeugt werden, das Thema in ihr Medium zu bringen. Pressemitteilungen sind daher meist in der dritten Person verfasst, sachlich geschrieben und haben einen standardisierten Aufbau:

  • Titel (headline)
  • Datumszeile (dateline)
  • Einführung (lead)
  • Fliesstext (body/body copy)
  • Abbinder (boilerplate)
  • Kontaktinformationen (contact data)

In ihrem Inhalt beantworten sie die W-Fragen

  • Was geschah?
  • Wer war/ist beteiligt?
  • Wo geschah es?
  • Wann geschah es?
  • Wie geschah es (und warum)?

Bei der Themenauswahl achten Pressemitteilungen die „ALF DAS KIND“-Regel (aktuell, lokal, folgenschwer, dramatisch, außergewöhnlich, spannend, konfliktreich, interessant, neu, delikat). Sie sind für den jeweiligen Versandweg (Fax, E-Mail, Brief) optimiert und enthalten oft Zitate hochrangiger Unternehmensvertreter und Experten, Pressefotos oder Infografiken.

Das Problem: Wer sich auf Redakteure konzentriert, verliert die Zielgruppe aus den Augen. Letztere findet in der vielfältigen Ratgeberliteratur zur Pressemitteilung kaum Beachtung oder wird unter dem vagen Konstrukt der „breiten Öffentlichkeit“ subsumiert.

Trotz aller Mühe erweisen sich in der Praxis mehr als 90 Prozent der Pressemitteilungen aus Sicht der Redaktionen als Informationsmüll. (➚Brauner et al., 2001)

Online-Pressemitteilung – Neue Regeln durch das Internet

In der Hälfte ihrer redaktionellen Beiträge stützen sich Journalisten allein auf die eigene Online-Recherche99,3 Prozent nutzen dafür Google. (➚Machill et al., 2008).

So ist es lohnend, die eigenen Pressemitteilungen auch online zur Verfügung zu stellen – im unternehmenseigenen Web-Pressroom. Dieser ist ein Teil der Unternehmenswebseite, in dem sich neben den chronologisch sortierten Pressemitteilungen auch ein Unternehmensprofil, Firmenlogos, Kurzlebensläufe der Geschäftsführung, Pressefotos, die Kontaktdaten der Pressesprecher etc. finden.

Neben der Einstellung einer Pressemitteilung in den Web-Pressroom und ihrer Versendung an relevante Journalisten und Nachrichtenagenturen werden die Pressemitteilungen zunehmend auch über  Presseportale bzw. PR-Portale (Übersicht: ➚Adnation, 2009) veröffentlicht, um ihre Reichweite zu steigern.

News Release: Neuigkeiten direkt für (potentielle) Kunden

Pressemeldungen, die im Internet veröffentlicht werden, sind jedem Internetnutzer zugänglich und werden vor allem auch von (potentiellen) Kunden gefunden. Diejenigen, die das Unternehmen über die Presse erreichen wollte, erreicht es nun also über die Online-Pressemitteilung direkt. Das zwingt dazu, eine Presseinformation nicht nur auf Journalisten zuzuschreiben, sondern so zu formulieren, dass sie von den Endkunden verstanden werden kann.

Der amerikanische Marketingstratege David Meerman Scott empfiehlt in seinem Buch „The new Rules of Marketing and PR“ (➚Scott, 2007: 63-64): Unternehmen sollen nicht nur dann Pressemitteilungen versenden, wenn sie „Big News“ zu verkünden haben, sondern gute Gründe finden, um jederzeit eine Pressemitteilung zu veröffentlichen, deren Inhalt Relevanz für die (potentiellen) Kunden hat – ungeachtet der Journalisten. Solche Mitteilungen nennt Scott allgemeinter News Release.

Suchmaschine als „dritte Zielgruppe“

Ganz gleich, ob die Mitteilung auf die Presse oder auf (potentielle) Kunden ausgerichtet ist – gefunden wird sie nur dann, wenn sie auch für Suchmaschinen optimiert ist.

Die Suchmaschine ist also die dritten Zielgruppe des Autors einer Pressemitteilung: Er muss in Schlagwörtern (Keywords) denken, nach denen Journalisten und Kunden wahrscheinlich suchen werden.

Sind Wortwiederholungen im Kreise guter Texter verpönt, sind sie bei Online-Texten bittere Notwendigkeit: Die ideale Schlagwortdichte (Keyword Density) im Text liegt zwischen 2 und 5 Prozent, d. h. 2 bis 5 Schlagwortwiederholungen pro 100 Wörter. Doch Achtung: Ist die Schlagwortdichte größer als 10 Prozent, wittert die Suchmaschine einen Manipulationsversuch und straft die Seite durch eine schlechte Wertung ab.

Darüber hinaus muss das relevante Schlagwort im HTML-Seitentitel (<title>), in Meta-Tags, in HTML-formatierten Überschriften (<h1> bis <h6>) und im Idealfall in der betreffenden Domain vorkommen. Ferner gilt: Das Schlagwort gehört immer an den Anfang einer Überschrift oder Textzeile.

Um die „richtigen“ Schlagwörter (Keywords) auszuwählen, kann man sich auf seine Intuition und Erfahrung verlassen oder z. B. das ➚Keyword-Tool von Google nutzen.

Weitere Hinweise zur suchmaschinenoptimierten Pressemitteilung liefern u. a. ➚Jarboe, 2007; ➚Evans 2008; ➚Sherik, 2009.

Social Media (Press) Release – Dekonstruktion der Pressemitteilung

“Die! Press Release! Die! Die! Die!“ titelte Tom Foremski, ehemaliger Redakteur der Financial Times, einen Beitrag am 27. Februar 2006 auf seinem Blog „Silicon Valley Watcher“ (➚ Foremski, 2006). Er forderte, Pressemitteilungen nicht mehr als fertiges Produkt zu liefern, sondern Versatzstücke anzubieten, aus denen sich der Redakteur seine „Story“ selbst zusammenbaut – so wie es seine Aufgabe sei.

Als Reaktion auf diesen Beitrag entwickelte Todd Defren, CEO der Agentur Shiftcomm, eine Vorlage für eine „Social Media Press Release“ (➚Defren, 2006), die neben den klassischen Elementen einer Pressemitteilung auch Multimedia-Elemente (Fotos, Grafiken, Filme, Tondokumente), dynamische Kontextelemente und Möglichkeiten für das Sharing bzw. Bookmarking vorsieht. Eine detaillierte Beschreibung liefert u. a. ➚Lommatzsch, 2008 (S. 18-25). Dabei richtet sich eine Social Media Release (SMR) nicht nur an Journalisten, sondern bewusst auch an Blogger und an (potentielle) Kunden.

Mit seinem Vorschlag löste Defren eine breite Diskussion aus und provozierte zu weiteren SMPR-Vorlagen (u. a.  ➚hRelease, 2006; ➚Digitalsnippits SMG, 2008). Seine eigene Vorlage aktualisierte er 2008  (➚Defren, 2008).

Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe kostenpflichtiger (z. B. ➚mymediaroom, ➚digitalsnippets) und kostenfreier ( z. B. ➚prxbuilder, ➚pitchengine) Angebote, die Unternehmen ermöglichen, eine Social Media Release zu veröffentlichen. Es scheint jedoch, als bevorzugten Unternehmen ausdrücklich kostenfreie Angebote, solche von PR-Portalen und die Einrichtung eines Social-Media-Newsrooms auf der eigenen Website.

In Deutschland ist die Akzeptanz der SMR bislang eher gering: Nur 9,9 Prozent der Unternehmen und 24,6 Prozent der Agenturen setzen derzeit Social Media Releases ein. (➚Petersen; Fortmann, 2009:62).

Im deutschsprachigen Raum (D, AU, CH) ist 51 Prozent der Journalisten und 31 Prozent der Blogger der Ausdruck „Social Media Release“ unbekannnt.
42 Prozent der Journalisten und Blogger wollen auch künftig eine Pressemitteilung als einfache Text-E-Mail erhalten – gern mit Anhang als Word- oder PDF-Dokument.
Multimediaelemente – z. B. Audio- und Videodokumente – halten drei Viertel der Blogger sowie die deutliche Mehrheit der Journalisten für überflüssig. Sie bevorzugen stattdessen weiterführende Links, Fotos und Grafiken (➚Schwarz, 2009).

PM und SMR – Sinn oder Unsinn in der Ära des Web 2.0?

In ihrer klassischen Form ist die Pressemitteilung ein Mittel der Distanz- und Push-Kommunikation. Web 2.0 jedoch erfordert statt einer anlassbezogenen One-Way-Kommunikation einen kontinuierlichen Dialog und – zeitlich beliebig versetzt – Pull-Information. Aus dieser Perspektive wird die klassische Pressemitteilung in der Ära des Web 2.0 obsolet. Ihr würdiger, Web 2.0 konformer Nachfolger ist streng genommen das (Corporate) Blog.

Dieses erlaubt ein Push der Unternehmensinformation in die relevanten Teilöffentlichkeiten – neben den Blog-Lesern kann die Multiplikation etwa durch RSS-Feeds, Sendung von Informationen an Redakteure und Blogger mittels E-Mail oder SMS, Posts in online Social NetworksTwitter etc. sowie über das Einstellen in News-/PR-Portalen erreicht werden. Eher ergänzend denn alternativ zum Blog ist eine aktive Kommunikation in online Social Networks zu sehen, in denen die für das Unternehmen relevanten Teilöffentlichkeiten aktiv sind.
Eine SMR braucht es dafür nicht – im Gegenteil: Ihr fehlt der Mehrwert des authentischen Dialoges.

Dennoch wird es wahrscheinlich so lange klassische Pressemitteilungen geben, solange es klassische Medien gibt bzw. solange letztere von den Unternehmen als relevante Multiplikatoren ihrer Botschaft akzeptiert werden.

Literaturhinweise

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Defren, Todd (2006): The „Social Media Release“ Debuts – Download the Template Today!’
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