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16. Oktober 2009

Wie Web 2.0 die Wirtschaft verändert (Teil 3 von 4) – Informationskosten – Nahe Null dank Web 2.0 oder “Haben Werbung und Verbraucherverbände eine Zukunft?”

Diesen Teil der Serie widme ich den Informationskosten. Sie sind nur eine der Transaktionskostenarten und der Grund für die Existenz der Werbeindustrie und von Informationseinrichtungen für Verbraucher wie der Stiftung Warentest. Das Internet und Web 2.0 haben drastischen Einfluss auf die Informationskosten, wie ich in meiner zweiten Hypothese zum Ausdruck bringe:

Hypothese 2
[Bei den digitalisierbaren Gütern und auch…] Bei den nicht digitalisierbare Gütern und Dienstleistungen senken Internet und Web 2.0 mindestens die Such-/Informationskosten derart, dass Institutionen, deren Geschäftsmodell in der Senkung von Such-/Informationskosten liegt, ihre Rolle verlieren.

Produktarten und Informationskosten

Informationskosten beschreiben, den Aufwand, den ein Käufer treiben muss, um die Qualität eines Produktes beurteilen zu können.

Dabei verfügen Produkte in unterschiedlicher Ausprägung über Such- und Erfahrungseigenschaften (Nelson, 1970 [1]) sowie über Vertrauenseigenschaften (Darby/Karni, 1973 [2]). Überwiegt eine dieser Eigenschaften, spricht man der Einfachheit halber von Suchgut, Erfahrungsgut bzw. Vertrauensgut. Diese Abgrenzungen wurden in verschiedenen Studien untersucht für zahlreiche Güter [3] und Dienstleistungen [4] empirisch belegt.

Suchgüter (Inspektionsgüter, „Search Goods“)

Suchgüter sind Produkte, deren Qualität (Form, Farbe, Leistungsdaten etc.) der Käufer bereits vor der Transaktion („Kauf“) ohne nennenswerte Informationskosten, d. h. ohne großen Aufwand, in Erfahrung bringen und beurteilen kann. Typischerweise verursacht allein die Ermittlung des besten Preises merkliche Informationskosten. Entsprechend spielt das Vertrauen des Käufers in den Anbieter bei Suchgütern kaum eine Rolle.

Beispiele für solche Produkte sind Grundnahrungsmittel (z. B. Milch, Mehl, Zucker, Salz), Elektronikartikel (z. B. Fernseher, Videorekorder, Hifi-Anlage, Computer) aber auch Schuhe und Bücher haben dominante Sucheigenschaften. Im Bereich der Dienstleistungen lassen sich beispielhaft Handels-, Verkehrs-, Beherbergungs- und Kurierdienstleistungen als Suchgüter nennen.

Erfahrungsgüter („Experience Goods“)

Erfahrungsgüter sind Produkte, deren Qualität erst nach dem Kauf beurteilt werden kann (z. B. der Geschmack). Daher sind Unsicherheit und das Risiko eines Fehlkaufs häufig. Die Beschaffung von entsprechenden Informationen verursacht merklichen Aufwand (hohe Informationskosten). Entsprechend spielt das Vertrauen in den Verkäufer (bzw. die Verkäufermarke) beim Erstkauf eine große Rolle. Der Wiederkauf wird dann stark durch die Erfahrung mit dem Produkt (Lerneffekt) nach dem Erstkauf beeinflusst.

Beispiele für Erfahrungsgüter sind das Essen in einem Restaurant, Fertiggerichte oder Dienstleistungen wie der Friseurbesuch, der Abenteuerurlaub sowie Dienstleistungen im Bereich Finanzen, Bildung, Wellness und Telekommunikation.

Vertrauensgüter (Glaubensgüter, „Credence Goods“)

Vertrauensgüter sind Produkte, deren Qualität sich auch nach dem Kauf nicht oder nur nach dem Konsumieren einer gewissen Menge des Produktes beurteilen lässt. Etwa weil sich Eigenschaften und Wirkung nicht oder erst spät zeigen (z. B. Medikamente) oder weil die Qualität Einflussgrößen unterliegt, die der Verkäufer nicht allein kontrollieren kann (z. B. Grad der Kooperation durch Klienten in einem Beratungsprozess). Selbst mit Aufbringen hoher Informationskosten, lässt sich diese Unsicherheit nicht hinreichend ausschalten. Das Vertrauen zum Verkäufer (bzw. der Verkäufermarke) hat großen Einfluss auf die Kaufentscheidung.

Beispiele für Vertrauensgüter finden sich im Bereich Gesundheit (z. B. Medikamente, Präparaten, Therapien, Ärzte, Krankenhäuser etc.) und in den Dienstleistungssektoren der Beratung (Coaches, Psychotherapeuten, Rechtsanwälte, Unternehmensberater) sowie Makler. Aber auch bei langlebigen Produkten – etwa bei Teppichen – können Vertrauenseigenschaften dominieren.

Höhe der Informationskosten führt zu neuen Geschäftsmodellen

Im Alltag besteht bei Kaufinteressenten eine Informationslücke. Diese wollen sowohl Anbieter als auch Kaufinteressenten ausschalten: Die Verkäufer wollen solche Informationen vermitteln, die den Kauf ihrer Produkte stimulieren, während Käufer das für ihre Bedürfnisse passende Produkt zu einem in ihren Augen angemessenen Preis erhalten wollen. Für beide Seiten ist eine Reihe von Geschäftsmodellen entstanden.

Geschäftsmodelle zum Schließen der Informationslücke aus Anbieterperspektive

Anbieter von Waren oder Dienstleistungen wollen den (potentiellen) Kunden die kaufrelevanten Informationen bzw. vertrauensbildende Botschaften übermitteln („Signaling“). Dieses Bedürfnis ist der Grund für die Existenz von z. B. Werbung, Marketing, Produkt- und Corporate PR.

Während Suchgüter mit Sachinformationen (Ort, Preis etc.) beworben werden können, ist bei Erfahrungsgütern und Vertrauensgütern Vertrauensbildung wichtig. Dafür werden häufig Testimonials (Privatpersonen, Prominente) und Institutionen (TÜV, Institut Fresenius, Branchenverbände etc.) in die werbliche Kommunikation eingebunden.

Je größer der Anteil der Erfahrungs- und Vertrauenseigenschaften bei einem Produkt oder einer Dienstleistung ist, desto wichtiger wird eine starke Marke: Sie bildet ein Bündel kaufrelevanter Informationen und Vertrauensbotschaften in leicht vermittelbarer Form und wird Ankerpunkt des Signalings der Anbieter. Der einzelne Verbraucher kann die Aussagekraft der „Signals“ oft nicht wirklich hinterfragen – er muss ihnen zunächst glauben.

Geschäftsmodelle zum Schließen der Informationslücke aus Kundenperspektive

Verbraucher wollen sich nicht allein auf die Aussagen eines Anbieters verlassen. Die Suche nach mehr Informationen („Screening“) ist umso ausgeprägter, je höher der Anteil von Erfahrungs- oder Vertrauenseigenschaften bei dem Produkt ist.

Die Informationskosten sind für den einzelnen Kaufinteressenten jedoch meist zu hoch. Dies begründet zahlreiche Geschäftsmodelle: Dritte beschaffen die relevanten Informationen durch systematisches Suchen und Vergleichen von Preisen und Leistungsdaten sowie durch Tests und bieten die so gewonnenen Erkenntnisse einer Vielzahl von Kaufinteressenten zu jeweils erschwinglichem Preis an.
Beispiele solcher Geschäftsmodelle sind die Stiftung Warentest, Restaurant- und Kulturkritiker sowie Verbraucherschutzverbände. Aber auch Produkttests und Rankings in Zeitschriften finden ihre Daseinsberechtigung in dem erweiterten Informationsbedürfnis der Kaufinteressenten – insbesondere bei Erfahrungs- und Vertrauensgütern.

Geschäftsmodell der (journalistischen) Medien als Beispiel einer Sonderstellung

Die journalistisch geprägten Medien nehmen eine spannende Zwitterrolle ein. Ihrem Selbstverständnis nach, stehen sie auf der Seite der Schwächeren, in unserem Kontext also auf der Seite der Käufer. Ihre wirtschaftliche Existenzgrundlage beziehen diese Medien jedoch zur Hälfte bis zu zwei Dritteln von Produktanbietern. [5] Letztere nutzen die Medien als Vehikel für ihr Signaling – also zur (Anzeigen-)Platzierung kaufrelevanter Werbebotschaften. Aber auch auf die redaktionellen Inhalte nehmen Unternehmen mittels konstruktiver oder aggressiver PR Einfluss.

Einfluss des Web 1.0 auf die Informationskosten

Seit der Etablierung des World Wide Web in der breiten Bevölkerung ist ein Unternehmen nicht mehr allein darauf angewiesen, Zielgruppen mit hohen Streuverlusten mittels Werbung in klassischen Medienkanälen zu bespielen: Echte Kaufinteressenten gehen ins Internet und suchen dort nach dem für sie passenden Angebot.

Unternehmen können auf ihren Webseiten Produktinformationen kostengünstig via Text, Bild, Ton und Video darbieten. Auch direkte (Kauf-)Beratung ist mit der geschäftlichen Internetpräsenz möglich – automatisiert über einen Avatar oder persönlich durch einen Vertriebsmitarbeiter mittels in2site-Dialog oder Chat.

Darüber hinaus können Unternehmen die Kenndaten ihrer Produkte meist kostenfrei auf zahlreichen (Verkaufs)Plattformen einstellen und so dem suchenden Kaufinteressenten darbieten. Allein im Falle des Verkaufs eines Produktes, wird eine sehr kleine Vermittlungsprovision an den Plattformbetreiber fällig.

Dies führt zu einer Senkung der Informationskosten, genauer der Signaling-Kosten, zulasten der klassischen Werbung. Letztere verliert ihre Bedeutung nicht völlig: Es geht nun vor allem darum, (Produkt)Marken bekannt zu machen, nach denen Kaufinteressenten dann im Internet suchen sollen. Ein Teil des bei der Werbung gesparten Geldes nutzen die Unternehmen für einen neuen Punkt auf ihrer Absatz-Agenda: Suchmaschinenoptimierung.

Doch auch Kaufinteressenten können Produktinformationen leichter über das Internet abrufen: Sucheigenschaften wie Preise und Leistungskennzahlen verschiedener Produkte lassen sich über die einzelnen Webseiten der Anbieter oder bequemer mittels Preissuchmaschinen wie einfachbilliger.com oder preissuchmaschine.de vergleichen – unabhängig von Ort und (Geschäfts-)Zeit. Erfahrungseigenschaften lassen sich über Testberichte von Medien und anderen Einrichtungen, wie der Stiftung Warentest, kostenfrei oder gegen kleines Geld interessenspezifisch beziehen. Dabei wird jedoch nur noch ein Beitrag gekauft statt der ganzen Zeitschrift. Insgesamt sinken auch für die Kaufinteressenten die Informationskosten deutlich.

Einfluss des Web 2.0 auf die Informationskosten

Im Web 2.0, dem Mitmach-Web, ist es nicht mehr allein Medien, Unternehmen und einigen „Nerds“ vorbehalten, ihre Informationen und Meinungen im Internet zu veröffentlichen. Der Mensch im Web 2.0 ist Nutzer (User) und Produzent (Producer) von Inhalten zugleich – er ist Produser.

Eine enorme Vielzahl von Menschen trägt nun emsig ihr Wissen und ihre Erfahrungen auf virtuellen Topoi zusammen – den Internetplattformen und den online Sozialnetzen (online Social Networks).

Diese vermitteln Dialog: Sie verbinden die Ratsuchenden mit den Wissenden – weitgehend ungeachtet von sozialer Stellung, Charakter oder Aufenthaltsort des Einzelnen und auch unabhängig von der Zeit. Dieses Crowdsourcing – d. h. das Schöpfen von Mehrwert aus der anonymen Masse der Internetnutzer statt aus Institutionen – hat Einfluss auf die Geschäftsmodelle der alten Weltordnung, die bisher diese Aufgaben übernahmen: sie werden überflüssig, zumindest teilweise.

Sucheigenschaften, wie Preis und Leistungsdaten, sammeln die Menschen auf Plattformen wie preisverlgeich.de oder geizkragen.de. Ihre Erfahrungen mit Produkten und Händlern teilen sie auf Plattformen wie ciao.de und idealo.de, ihre Erfahrungen mit Dienstleistern über Portale wie dialo.de, quipe.com oder kennstdueinen.de. Auf diese Weise werden Erfahrungs- und Vertrauensgüter eher zu Suchgütern.

Hinzu tritt eine weitere Entwicklung: Die Menschen vertrauen Aussagen von Bekannten oder Kundenwertungen auf Webportalen mehr, als allen Formaten der Werbung, d. h. der Aussage der Unternehmen. (vgl. z. B. [6]-[8]) Erhält ein Produkt von Konsumenten im Internet eine schlechte Wertung, wird es von mindestens einem Drittel der potentiellen Käufer allein deshalb nicht gekauft.

Letztlich werden sich angesichts dieser Entwicklung Unternehmen zunehmend fragen, ob und zu welchem Zweck sie  Werbung in klassischen- und Onlinemedien einsetzen wollen. Auch Einrichtungen, die ihre Daseinsberechtigung aus den Senkung der Informationskosten für Verbraucher ziehen, müssen ihren langfristigen Mehrwert hinterfragen und schließlich werden auch redaktionelle Medien gezwungen sein, ihre Geschäftsmodelle von Grund auf zu überdenken, wenn sie sowohl als Werbeträger als auch als Orientierung für Verbraucher ihren Reiz verlieren. Dies gilt zumindest mittel- bis langfristig, denn noch stehen wir am Anfang: Der Umbruch hat erst begonnen.

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Im 4. und letzten Teil dieser Serie, werde ich eine Methode vorstellen, mit der man für die eigene Branche bzw. für das eigene Unternehmen abschätzen kann, in wie weit das Internet und Web 2.0 Veränderungen erwarten lassen.

Die Serie „Wie Web 2.0 die Wirtschaft verändert“ im Überblick:

»  Teil 1 von 4:  Transaktionskosten
»  Teil 2 von 4:  Schrumpfende Wertschöpfungsketten – Beispiel Buchmarkt
»  Teil 3 von 4:  Informationskosten – Nahe Null dank Web 2.0
»  Teil 4 von 4:  Methode zur Einschätzung der Situation der eigenen Branche

Quellen und weiterführende Literatur

[1]  Phillip Nelson (1970): Information and consumer behavior. In: Journal of Political
Economy, 78 (1970), 2, 311-329. [http://www.jstor.org/pss/1830691]
[2]  Darby, Karny (1973): Free Competition and the Optimal Amount of Fraud.
Journal of Law and Economics, 16 (1973), S. 67-88
[3]  Weiber, Adler (1995): Positionierung von Kaufprozessen im Informationsökonomischen Dreieck, zfbf, 2 (1995), S.99-123
[4]  Ahlert, Blaich, Evanschitzky (2003): Systematisierung von Dienstleistungsnetzwerken. in Bruhn (Hrsg.), Stauss (Hrsg.): Dienstleistungs-Netzwerke.
Dienstleistungsmanagement Jahrbuch 2003. Gabler Verlag, 2003
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[5]  vgl. z. B. Pasquay, A. (2009): Zur Lage der Zeitungen in Deutschland 2009. BDZV
http://www.bdzv.de/wirtschaftliche_lage+M5073f767ed6.html
[Stand:16-OCT-2009]
und G+J Werbetrend:
URL: http://www.gujmedia.de/services/werbemarkt/?id=206297
[Stand 16-OCT-2009]
[6]  Richter, Witt (2006): Der Einfluss von Blogs in Europa. Hotwire Ipsos Studie.
White Paper, 11/2006
URL: http://knowledgecenter.ipsos.de/downloads/KnowledgeCenter/3BFE85EF-713A-4358-AD23-16AAE9876879/Ipsos%20White%20Paper%20Blogging.pdf
[Stand: 16-OCT-2009]
[7]  Rolke, Höhn (2008): Mediennutzung in der Webgesellschaft 2018. BoD, 09/2008. S. 90ff.
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[8]  Nielsen (2009): Consumer Confidence Survey. Vertrauen in Werbung. Nielsen,
06/2009. URL: http://de.nielsen.com/pubs/index.shtml [Stand: 16-OCT-2009]
Pressecharts-URL:
http://de.nielsen.com/site/documents/VertraueninWerbung_Presse_Deutschland.pdf
[Stand: 16-OCT-2009]